Zerstörung als Deakkumulation
Vom Sammeln zum Zerfallenlassen

Die Frage, ob Zerstörung künstlerisches Mittel oder Zeitdiagnose sei, verfehlt die Pointe – sie funktioniert als ästhetische Strategie immer dann am präzisesten, wenn sie den Akkumulationszwang unserer Epoche durchkreuzt, jene pathologische Neigung zur permanenten Anhäufung von Objekten, Bildern, Daten, Kapital, die das koloniale Projekt bis heute fortsetzt. Was im Museum gehortet wird, wurde meist geraubt; was im Depot verschwindet, entzieht sich der Zirkulation; was archiviert wird, erstarrt zur toten Erinnerung. Die künstlerische Vernichtungsgeste antwortet auf diese Logik mit einer radikalen Enteignung der Beständigkeit – sie weigert sich, Material für künftige Verwertungszyklen bereitzustellen.
Diese Systeme operieren durch Akkumulation – gestohlene Objekte, extrahiertes Wissen, monopolisierter Zugang. Die Zerstörung tritt als Auflösungsgeste auf: Verweigerung der Teilnahme an einem System, das Wert durch Besitz definiert. Wenn Künstlerinnen ihre Arbeiten vernichten, entziehen sie sie dem Markt, dem Museum, der posthumen Vereinnahmung. Eine Form der präemptiven Dekolonisierung des eigenen Schaffens.
Man stelle sich eine Schriftstellerin vor, die Manuskripte verbrennt – die Flamme als kritische Instanz, deren Urteil radikaler ausfällt als jede redaktionelle Intervention. Wo der inneren Stimme nicht genügt wird, greift das Feuer korrigierend ein. Diese Geste läuft dem Selbsterhaltungstrieb künstlerischer Produktion zuwider, jener Tendenz, alles aufzubewahren für spätere Werkausgaben, für die Forschung, für den Nachlass. Das Verbrennen schafft Raum durch Entleerung – die Asche als Bodenvorbereitung für kommende Texte. Was hier geschieht, ähnelt einer Reintegrationsdynamik: Das Verworfene fließt zurück ins Formlose, aus dem heraus weitergeschrieben werden kann, ohne die Last des bereits Fixierten zu tragen.
Doch genau hier lauert die Falle. Denn was bedeutet es, Zerstörung zu praktizieren in einer Ära, die selbst auf permanenter Zerstörung basiert – die alte Industrien vernichtet zugunsten neuer Märkte, etablierte Strukturen zugunsten disruptiver Geschäftsmodelle, gewachsene Gemeinschaften zugunsten flexibilisierter Arbeitskräfte? Die neoliberale Doktrin hat die Verwüstung zum Geschäftsprinzip erhoben, feiert Innovation als permanenten Bruch mit dem Bestehenden, glorifiziert das Niederreißen als Voraussetzung für Wachstum. Silicon Valley formulierte das Credo offen: „Move fast and break things“ – schnell bewegen, Strukturen zerbrechen. Die Zerstörung wurde zur Produktivkraft umgedeutet, zur Quelle von Mehrwert, zur Tugend des dynamischen Unternehmers.
Diese Logik macht vor Krieg keinen Halt. Seit den frühen 2000er Jahren operiert das US-Militär als Vehikel neoliberaler Transformation – Michael Schwartz prägte dafür den Begriff „Military Neoliberalism“. Die Kriege in Irak und Afghanistan waren keine klassischen Eroberungen zur Ressourcenextraktion, vielmehr Laboratorien erzwungener Marktreformen. Das Militär demontierte bestehende Wirtschaftsstrukturen und installierte neoliberale Ordnungen – Privatisierung staatlicher Betriebe, Deregulierung, Öffnung für ausländische Investoren. Parallel dazu wurde die Kriegsführung selbst privatisiert: 75% des westlichen Militärpersonals in Afghanistan waren private Contractors, das Pentagon gibt über $300 Milliarden jährlich für private Verträge aus. Krieg als Geschäft – „war economies“, wie es die Forschung nennt, in denen Konflikte lukrativ werden durch kommerzielle Interessen. Die Kosten werden sozialisiert (Staatsverschuldung, zerstörte Gesellschaften), die Profite privatisiert (Halliburton, Blackwater, die gesamte Defense Industry). Wo früher Imperien Kolonien ausplünderten, extrahiert der neoliberale Krieg Wert durch Markterschließung und privatisierte Gewalt.
Unter diesen Bedingungen verliert die künstlerische Vernichtungsgeste ihre kritische Schärfe – zumindest scheint sie das. Wo der Kapitalismus selbst auf kreativem Niedergang beruht, wo Disruption als Innovationsmechanismus funktioniert, wo Start-ups damit prahlen, ganze Branchen zu zerstören, droht die ästhetische Zerstörung zur Affirmation des herrschenden Prinzips zu werden. Der Künstler, der sein Werk vernichtet, könnte dann als Komplize eines Systems erscheinen, das ohnehin alles Beständige niederwalzt – seine radikale Geste wäre bloße Wiederholung der kapitalistischen Grundoperation.
Mehr noch: Der Markt schreibt der Künstlerin oder dem Künstler die Position der Autor*in zu, damit diese Position durch Zerstörung ostentativ ausgestellt werden kann. Die Vernichtung der eigenen Arbeit wird zur ultimativen Demonstration von Verfügungsgewalt, zur Performance von Herrschaft über das Produzierte – genau jene Autonomie, die der neoliberale Diskurs als unternehmerische Freiheit feiert. Wer zerstören kann, besitzt; wer besitzt, kann vermarkten, auch die Geste der Verweigerung selbst. Das verbrannte Manuskript wird zur Legende, die Asche zum mythischen Rest, der Akt zur archivierbaren Performance. Der Kapitalismus verkauft längst die Rebellion gegen sich selbst als Premium-Produkt.
Die Unterscheidung: Verwüstung vs. Vergänglichkeit
Die entscheidende Differenz liegt im Telos der Zerstörung. Kapitalistische Verwüstung akkumuliert durch Vernichtung – sie räumt weg, um Platz zu schaffen für profitable Neuordnung, sie zerstört Altes, um Neues zu verkaufen, sie flexibilisiert Strukturen, um Arbeitskraft billiger zu extrahieren. Jede Disruption dient der Wertvermehrung, jeder Bruch der Profitmaximierung. Die Zerstörung ist Mittel, das Wachstum bleibt Zweck. Das System frisst sich durch Substanz, um sich selbst zu reproduzieren – ein kannibalischer Kreislauf, der permanent Verwertbares benötigt.
Künstlerische Zerstörung – wo sie authentisch operiert – verweigert genau diese Teleologie. Sie zerstört ohne Verwertungsabsicht, vernichtet ohne Ersatzprodukt bereitzustellen, löst auf ohne Neukonfiguration zu versprechen. Die Flamme, die Manuskripte frisst, generiert keinen Mehrwert, eröffnet keinen Markt, hinterlässt nichts als Asche. Diese zweckfreie Vernichtung entzieht sich der kapitalistischen Logik – sie ist Verschwendung im wortwörtlichen Sinn, Verausgabung ohne Return on Investment, ökonomischer Wahnsinn.
Daoistisches Denken kennt Auflösung als Transformation – Rückkehr ins Formlose, aus dem Neues emergiert, organisch statt planmäßig. Die Akzeptanz von Vergänglichkeit immunisiert gegen jene Rigidität, die aus Erhaltungswillen Verhärtung züchtet. Systeme, die ewig währen wollen, erstarren; Systeme, die ihr Ende kennen, bleiben lebendig. Diese Vergänglichkeitsökonomie funktioniert anders als neoliberale Disruption. Wo der Markt auf Wertsteigerung durch Bewahrung setzt (Museumsreife, historische Bedeutung, Nachlässe, Retrospektiven) oder auf Profitgenerierung durch Zerstörung (Innovation, Disruption, kreative Zerstörung), praktiziert die künstlerische Vernichtung eine Ästhetik des Transitorischen Genügens – es war gut, solange es dauerte; jetzt ist es vorbei; das nächste beginnt, falls es beginnt.
Keine Monumentalität, keine Ewigkeitsansprüche, keine Verwertungslogik. Die kleine Form – das private Notizbuch, verfasst ohne Adressat, der Zettelkasten für niemanden außer sich selbst, die unveröffentlichte Skizze – entspricht dieser Logik: anti-monumental, der Vereinnahmung entzogen, bewusst vergänglich konzipiert. Wo westliche Kulturpolitik Auflösung als Katastrophe erlebt, Archive rettet, Kontinuität beschwört, operiert eine andere Praxis mit der Haltung: Wenn’s zusammenbricht, bricht’s zusammen – ohne Tragödie, ohne Verrat, als nächste Phase im ewigen Prozess. Kein Exit-Plan, keine Nachverwertung der Reste, keine Start-up-Logik des Scheiterns als Lernerfahrung für den nächsten Pitch.
Das bürgerliche Ich und seine letzte Geste
Die feministische und postkoloniale Kritik fügt die entscheidende Wendung hinzu. Wessen Arbeiten werden bewahrt, wessen verschwinden? Welche Körper dürfen im Archiv bleiben, welche werden gelöscht? Die Geschichte der Kunstgeschichte ist eine Geschichte systematischer Vernichtung durch Nicht-Sammeln, durch Nicht-Ausstellen, durch Nicht-Erinnern. Vor diesem Hintergrund gewinnt die selbstbestimmte Zerstörung durch Kunstschaffende eine spezifische Qualität – sie antizipiert die Auslöschung und vollzieht sie auf eigene Faust, statt der posthumen Vereinnahmung oder Vergessenheit ausgeliefert zu sein.
Doch genau hier schlägt die Ambivalenz zu. Die Vernichtung der eigenen Arbeit – diese ultimative Geste – entpuppt sich als Behauptung des zutiefst bürgerlichen Ichs, das im Moment der Auflösung noch einmal seine Autorität demonstriert. Byung-Chul Han hat präzise analysiert, wie das neoliberale Subjekt zum Unternehmer seiner selbst wird, der sich permanent selbst ausbeuten muss, der Freiheit und Zwang nicht mehr unterscheiden kann, weil beides zusammenfällt. Alain Ehrenberg zeigt komplementär, wie der Imperativ „Du kannst alles sein“ zur unerträglichen Last wird – das erschöpfte Selbst kollabiert unter der permanenten Entscheidungsfreiheit, unter der Überforderung durch Selbstverantwortung. Die Künstlerin oder der Künstler, die ihr Werk verbrennen, vollziehen diese Logik bis zur letzten Konsequenz: Produzierende, Evaluierende, Vernichtende in Personalunion – das totale Selbstmanagement, das selbst die Zerstörung noch als eigenverantwortliche Entscheidung inszeniert, als souveränen Akt in einer Welt permanenter Wahlzwänge.
Die Autorschaftsposition, aus der heraus diese Geste vollzogen wird, ist kapitalistisch zugewiesen – Künstlerin oder Künstler als Manager des eigenen Werks, als Souverän über die eigene Produktion. Der neoliberale Diskurs feiert genau diese Autonomie, diese Selbstbestimmung, diese Verfügungsgewalt. Die Zerstörung der eigenen Arbeit wird dann zur ultimativen unternehmerischen Freiheit, zur Performance von Ownership, zur Inszenierung jener Herrschaft, die der Markt den privilegierten Subjekten zugesteht – während er sie anderen systematisch verweigert. Das Ich manifestiert sich im Akt der Vernichtung gegen die Welt, gegen den Markt, gegen die Nachwelt – eine Geste, die zutiefst individualistisch bleibt, die das Werk als privates Eigentum behandelt, über das nur die Schöpferin verfügen darf.
Diese Dynamik kulminiert in der Werkvernichtung: Das erschöpfte Selbst, dem Ehrenberg die Depression als Pathologie der Optionalität zuschreibt, exekutiert seine letzte Entscheidung. Wo das Verbot das Subjekt nicht mehr erschöpft, vielmehr die permanente Aufforderung zur Selbstentfaltung, die unendliche Optionalität, der Zwang zur Authentizität, wird die Zerstörung zur narzisstischen Spitzenleistung des Ego, das sich selbst zusieht beim radikalen Akt. Selbst im Zusammenbruch muss das Ich noch autonom sein, noch eine Entscheidung treffen, noch die Kontrolle ausüben – bis zur finalen Geste der Selbstauslöschung durch Werkauslöschung.
Die Gabe als radikale Alternative: Auflösung des Besitz-Ichs
Gegen diese Logik der Ich-Behauptung durch Vernichtung steht ein anderes Modell: die Schenkökonomie als radikaler Gegenentwurf zum neoliberalen Selbst. Lewis Hyde hat in The Gift gezeigt, dass Kunst fundamental als Gabe funktioniert, die zirkulieren muss statt akkumuliert zu werden. Die Gabe unterscheidet sich von der Ware durch ihre Bewegungsrichtung: Der Warentausch beendet Beziehungen (Geld gegen Objekt, Transaktion abgeschlossen), der Gabentausch schafft Beziehungen, die fortdauern. Die Gabe muss weitergegeben werden, sie darf nicht gehortet werden, sonst verliert sie ihre Kraft.
Das neoliberale Subjekt, das Han analysiert, kennt keine Gabe mehr – alles wird zur Investition, zur Ressource, zum Humankapital. Selbst Großzügigkeit erscheint als Investment in soziales Kapital, selbst Freundschaft als Networking-Strategie. Die Psychopolitik hat das Andere abgeschafft, es gibt nur noch das Selbst, das sich in allen Beziehungen spiegelt und optimiert. Die Zerstörung der eigenen Arbeit bleibt in dieser Logik gefangen: Das Ich sichert seine Autonomie, indem es vernichtet statt teilt, indem es das Werk aus der Zirkulation nimmt statt es freizugeben. Ehrenberg hat gezeigt, dass das erschöpfte Selbst gerade an dieser permanenten Selbstverantwortung zerbricht – jede Entscheidung als Last, jede Option als Zwang. Die Gabenpraxis bietet einen Ausweg aus dieser Überforderung: Wer das Werk freigibt, entlastet sich von der Bürde totaler Kontrolle, gibt die Verantwortung ab, lässt die Dinge geschehen. Die Zirkulation entscheidet, die Gemeinschaft trägt weiter oder lässt fallen – keine individuelle Letztentscheidung mehr.
Die Praxis der Gabe folgt einer anderen Bewegung. Sie löst das Werk aus dem Besitzdenken, ohne es zu vernichten. Sie übergibt es an die Zirkulation, an die Gemeinschaft, an Fremde – eine Freigabe, die zugleich Selbstaufgabe bedeutet. Wer schenkt, verliert die Kontrolle über das Geschenkte; die Gabe beginnt ihr Eigenleben, transformiert sich im Gebrauch, wandert von Hand zu Hand. Diese Bewegung entspricht dem Prinzip des Geschehenlassens präziser als jede Vernichtungsgeste: Loslassen statt Zerstören, Wandern statt Akkumulieren oder Eliminieren.
Hier zeigt sich die radikale Differenz zwischen bürgerlicher Autorschaft und relationaler Praxis. Wer das eigene Werk verbrennt, bleibt Zentrum der Geste – entscheidet, vollzieht, kontrolliert bis zum Schluss. Die Gabenpraxis dezentralisiert von Anfang an: Das Werk tritt in die Beziehung ein, existiert im Zwischen, im Fluss. Keine Autorschaft im klassischen Sinn, keine Zuschreibung von Ursprung und Eigentum. Die Form bleibt offen, wandelt sich, trägt Spuren aller, die sie berührten.
Han diagnostiziert die Abschaffung des Anderen als Kernproblem der Gegenwartsgesellschaft. Das neoliberale Selbst erkennt nur sich selbst in allen Dingen, es kann nichts empfangen, weil Empfangen Abhängigkeit bedeuten würde, Schwäche, Verletzlichkeit. Die Gabe setzt genau hier an: Sie erfordert Empfangsbereitschaft, Offenheit für das Fremde, Anerkennung der eigenen Unvollständigkeit. Wer schenkt, gibt sich selbst auf; wer empfängt, lässt sich transformieren. Die Zirkulation der Gabe löst das gepanzerte Ich auf, das sich gegen die Welt verteidigen muss.
Die Unterscheidung zwischen authentischer Praxis und ihrer kommerziellen Perversion lässt sich hier präzisieren: Authentische Praxis gibt ohne Rücksicht auf Anerkennung, teilt ohne Autorschaftsanspruch, wirkt ohne Selbstinszenierung. Die kommerzielle Variante akkumuliert symbolisches Kapital, sammelt Aufmerksamkeit, inszeniert die eigene Radikalität – das bedürftige Ego in subversivem Gewand. Die Performance der Werkvernichtung als Kunstmarkt-Event folgt dieser kommerziellen Logik: Zerstörung als ultimativer Besitzgestus, als Demonstration von Verfügungsmacht, als Investment in Legendenbildung.
Zwischen Autorschaft und Auflösung: Die poetische Form
Die literarische Vernichtung – wenn sie als Dialog mit dem Werk selbst operiert, als kritisches Gespräch zwischen Produziertem und Produzierendem – kann die Zerstörung als poetische Form etablieren. Das Verwerfen wird zur stillen Geste, die das Recht beansprucht, eigene Maßstäbe anzulegen statt sich fremden Bewertungssystemen zu unterwerfen. Was dem inneren Anspruch nicht genügt, darf verschwinden. Diese Radikalität der Fortsetzung durch Verwerfung untergräbt die Logik des Sammelns, der Vollständigkeit, der lückenlosen Dokumentation.
Doch in einer Ära, die selbst permanent untergräbt, die Vollständigkeit zugunsten agiler Fragmentierung aufgibt, die Dokumentation durch Löschung ergänzt (right to be forgotten, data pruning, algorithmic forgetting), verliert die künstlerische Zerstörung ihre subversive Kraft – es sei denn, sie findet eine Haltung jenseits der Autorschaftslogik. Das bedeutet: zerfallenlassen aus der Einsicht, dass Besitz – auch geistiger – eine Illusion darstellt, statt zerstören aus souveräner Verfügungsgewalt heraus. Oder radikaler: freigeben zur Zirkulation, verschenken ohne Bedingung, das Werk der Gemeinschaft überantworten, wo es sich verwandeln darf, verstümmelt werden darf, verschwinden darf – außerhalb jeder Kontrolle.
Wer schenkt, verliert die Kontrolle; wer zerstört, behält sie bis zum Ende. Die Flamme, die Manuskripte frisst, gehorcht der Autorin; die Gabe, die in Umlauf geht, folgt eigenen Gesetzen. Geschehenlassen im ästhetischen Feld heißt dann: Freigeben statt Festhalten, Wandern statt Besitzen oder Eliminieren. Das Werk existiert im Zwischen, in der Beziehung, im Fluss – dezentral, anonym, verwandelt durch jeden Gebrauch.
Die Differenz im Detail: Vernichtung, Akkumulation, Zirkulation
Es lohnt sich, die drei Modi künstlerischer Werkpolitik systematisch zu unterscheiden:
Akkumulation – das herrschende Paradigma – behandelt Werke als Besitz, der zu mehren ist. Künstlerinnen bauen Œuvres, kuratieren Nachlässe, planen Retrospektiven. Der Markt honoriert Vollständigkeit, die Kunstgeschichte fordert Dokumentation, die Institution garantiert Beständigkeit. Diese Logik korrespondiert perfekt mit dem Kapitalismus: Werke als Vermögen, Kreativität als Humankapital, Lebenswerk als Portfolio. Das Subjekt akkumuliert, um seinen Wert zu steigern, um im Wettbewerb zu bestehen, um posthum zu persistieren.
Vernichtung – die vermeintlich radikale Alternative – negiert diese Akkumulation durch theatralische Auflösung. Doch wie gezeigt, bleibt sie in der Autorschaftslogik gefangen. Wer das eigene Werk zerstört, exekutiert die eigene Herrschaft, demonstriert Verfügungsmacht, manifestiert das Ich gegen alle Ansprüche. Die Geste ist individualistisch bis zur Selbstbezüglichkeit: Ich allein entscheide über Leben und Tod meiner Kreationen. Zudem produziert Vernichtung oft neue Akkumulationsformen – Legenden, Mythen, Dokumentationen des Akts, die ihrerseits vermarktet werden können.
Zirkulation – die Gabenökonomie – verlässt diese Dialektik von Akkumulation und Vernichtung. Das Werk wird weder gehortet noch eliminiert, vielmehr freigegeben. Es wandert, transformiert sich, entzieht sich der Kontrolle. Die Autorin gibt ihre Souveränität auf, durch Weitergabe – die ja keine souveräne Handlung mehr ist, sobald das Geschenkte die Hände wechselt. Das Werk existiert nur im Gebrauch, im Teilen, im permanenten Weitergeben. Es kann verschwinden – durch Autorinnenwillen allerdings, vielmehr weil die Zirkulation es nicht mehr trägt, weil niemand mehr weitergibt, weil die Transmission abbricht.
Diese dritte Option entspricht am ehesten dem, was als Geschehenlassen bezeichnet werden kann. Das Ich entscheidet nicht über das Werk, die Bewegung der Gabe selbst bestimmt Fortbestand oder Verschwinden. Die Autorin tritt zurück, in stiller Freigabe – keine heroische Vernichtungsgeste. Das Werk verlässt die Besitzsphäre – weder der Künstlerin noch dem Markt noch dem Museum gehörend. Es fließt, solange es fließt, und versiegt, wenn es versiegt.
Verwüstung als Zeitdiagnose: Die doppelte Falle
In einer Epoche permanenter Verwüstung – ökologischer Kollaps, soziale Atomisierung, epistemologische Erosion – verschärft sich das Dilemma künstlerischer Zerstörung. Einerseits erscheint sie als adäquate Antwort auf eine Welt, die ohnehin zerfällt. Wenn alles zusammenbricht, warum nicht auch die Kunst? Die Zerstörungsgeste würde dann zur zeitdiagnostischen Geste, zur Artikulation der Gegenwart, zum ästhetischen Echo der Verwüstung.
Andererseits droht gerade diese Parallelität zur Affirmation zu werden. Wenn Kapitalismus, Kolonialismus und Patriarchat systematisch zerstören – Ökosysteme, Gemeinschaften, Wissensformen –, dann reproduziert künstlerische Zerstörung deren Grundprinzip. Sie fügt dem allgemeinen Vernichtungsrausch eine weitere Geste hinzu, ästhetisiert die Verwüstung, macht sie konsumierbar als Performance. Die Künstlerin, die Werke verbrennt, während tatsächlich Menschen vertrieben werden, während Kulturen ausgelöscht werden, während Wälder niederbrennen – diese Geste kippt ins Zynische. Sie wird zum Gegen statt zum Für, zur ästhetischen Verarbeitung dessen, was als reale Gewalt Körper trifft, Existenzen vernichtet, Welten auslöscht. Wo Vernichtung täglich geschieht – Genozide, Vertreibungen, Umweltzerstörung –, kann ihre Ästhetisierung keine kritische Kraft mehr entfalten. Sie reproduziert die herrschende Gewalt, statt ihr etwas entgegenzusetzen.
Die Lösung liegt in der Qualität der Auflösung. Kapitalistische Verwüstung ist gewaltsam, extraktiv, finalisiert auf Neuverwertung. Sie reißt nieder, um Platz zu schaffen für profitable Rekonfiguration. Künstlerische Vernichtung als Ich-Behauptung ist theatralisch, individualistisch, zentriert auf Autorschaftsdemonstration. Beide Modi bleiben in der Logik von Herrschaft und Besitz gefangen.
Die Gabenpraxis dagegen operiert durch sanfte Auflösung – Freigabe statt Gewalt, Zirkulation statt Fixierung, Vergänglichkeit als natürlicher Prozess statt als inszenierter Akt. Sie entspricht eher dem stillen Verrotten als dem spektakulären Brand, eher dem organischen Zerfall als der explosiven Sprengung. Das Werk wird freigegeben – ein fundamentaler Unterschied in der Haltung zum Geschaffenen und zur Zeit selbst, keine Vernichtung. Hier ließe sich von kire sprechen, jenem Prinzip der japanischen Ästhetik, das den Schnitt bezeichnet, der zugleich verbindet – ein Bruch, der Kontinuität ermöglicht. Die Gabe durchschneidet die Bindung zwischen Werk und Autorin, schafft aber gerade dadurch neue Verbindungen – zwischen Werk und Anderen, zwischen Menschen durch das Werk hindurch. Das Ende der Autorschaft ist der Beginn der Zirkulation. Kein heroischer Schlussakkord, vielmehr eine Öffnung ins Unbestimmte, wo das Werk weiterleben oder sterben kann, getragen von anderen Händen oder fallengelassen. Der Schnitt trennt das Werk vom Besitz-Ich, fügt es aber ein ins Netz der Beziehungen – eine Diskontinuität, die erst wahre Bewegung erlaubt.
Coda: Für eine Kunst der Freigabe
Die zentrale Frage lautet: Wie kann künstlerische Praxis sich zur Vergänglichkeit verhalten, ohne die Destruktivität der Epoche zu reproduzieren? Die Antwort liegt in der Kultivierung von Freigabe-Praktiken, die das Werk aus dem Besitzdenken lösen – keine heroische Werkvernichtung, keine museale Konservierung.
Solche Praktiken könnten umfassen: Die Herkunft benennen, die Kontrolle aufgeben – Autorschaft als Quellenangabe beibehalten, sie aber von Besitzansprüchen trennen. Arbeiten explizit zur Transformation freigeben, sodass andere ändern, kürzen, erweitern dürfen, ohne Genehmigung einzuholen. Produktionen zeitlich begrenzen – nach zehn Jahren dürfen sie verschwinden oder müssen durch andere Hände erneuert werden. Prozesse kollaborativ anlegen, wo Beiträge sich vermischen, ohne dass daraus Hierarchien der Urheberschaft entstehen. Die kleine, vergängliche Form wählen statt monumentaler Gesten, die Unsterblichkeit versprechen. Das Prinzip lautet: Ich habe das gemacht, aber es gehört mir nicht – die Gabe verlässt die Hand und beginnt ihr Eigenleben in der Zirkulation, die sie trägt oder versiegen lässt.
Han analysiert, wie das neoliberale Subjekt sich selbst ausbeutet, permanent optimiert, keine Beziehungen mehr kennt außer Tauschbeziehungen. Die Gabe durchbricht diese Logik: Sie schafft Beziehungen, die über den Moment der Übergabe hinausreichen, die beide Seiten verändern, die keine Äquivalenz kennen. Das Werk als Gabe funktioniert anders als das Werk als Ware oder als spektakulär vernichtetes Objekt. Es wandert, trägt Spuren der Nutzung, kehrt verwandelt zurück oder verschwindet spurlos – außerhalb der Kontrolle der Ursprungsinstanz.
In einer Zeit der Verwüstung bleibt künstlerische Praxis zeitgemäß durch Kultivierung alternativer Zeitlichkeiten – keine Reproduktion der Zerstörung. Das bedeutet: Vergänglichkeit anerkennen ohne sie zu inszenieren, Auflösung zulassen ohne sie zu erzwingen, das Werk freigeben statt es zu besitzen oder zu eliminieren. Weder Akkumulation noch Vernichtung, vielmehr Zirkulation – das Geschaffene wandert, transformiert sich, lebt durch Weitergabe, stirbt durch Nicht-Weitergabe.
Die Kunst verschwindet vielleicht, sobald sie entstanden ist – wie Atem, wie Bewegung, wie Leben selbst. Kein Exit, kein Pivot, kein Relaunch, keine Flamme, die das Ich im Akt der Vernichtung noch einmal glorifiziert. Nur Weitergabe ins Ungewisse, Freigabe ins Unkontrollierbare, Auflösung durch Zirkulation statt durch Brand. Das Werk tritt in den Fluss ein, trägt, transformiert – und das Ich, das es schuf, verschwindet mit ihm, statt sich in seiner Vernichtung ein letztes Mal zu manifestieren.
Was bleibt, ist die Bewegung selbst – die Geste des Teilens, der Fluss der Transformation, die Bereitschaft zum Verschwinden ohne Dramatik, weder das Werk noch seine theatralische Zerstörung. Eine Kunst, die sich dem Akkumulationszwang entzieht durch stille Praxis der Freigabe – keine heroische Negation. Eine Ästhetik des Geschehenlassens, die weder besitzt noch vernichtet, vielmehr wandern lässt, solange Zirkulation trägt. Und wenn sie nicht mehr trägt, wenn das Werk versiegt, dann durch die Bewegung selbst, die zur Ruhe kommt – ohne Lärm, ohne Spektakel, ohne letzte Ich-Behauptung, kein Autorinnenwillen.
