Das Fließen der Macht und das Stocken der Moral

Versuch einer materialistisch-taoistischen Kritik der hegemonialen Ordnung

Das Fließen der Macht und das Stocken der Moral

I. Das Tao der Hegemonie

Was sich füllt, wird leer. Was sich ausdehnt, zieht sich zusammen. Was nach oben strebt, fällt.

Hegemonie ist kein Zustand, sondern ein Prozess – ein permanentes Fließen von Ressourcen, Aufmerksamkeit, Gewalt und Legitimation vom Peripheren zum Zentralen. Die amerikanische Hegemonie seit 1945 lässt sich nicht verstehen als Ergebnis von Werten oder Ideen, sondern als Resultat materieller Überlegenheit: industrieller Kapazität, Ressourcenzugang, militärischer Projektion, monetärer Kontrolle. Der Dollar als Weltreservewährung ist keine Auszeichnung für gutes Betragen, sondern das Instrument, durch das sich Wert vom Rest der Welt in die Zentren des Kapitals bewegt.

Das Laozi lehrt: Der Weg, der benannt werden kann, ist nicht der ewige Weg. Die Wege der Macht sind nicht die proklamierten Wege. „Demokratie“, „Freiheit“, „Menschenrechte“ – diese Begriffe bezeichnen nicht, was sie zu bezeichnen vorgeben. Sie sind Oberflächenphänomene, Kräuselungen auf dem Wasser. Darunter fließt der eigentliche Strom: Akkumulation, Extraktion, Kontrolle.

II. Die Definitionsmacht

Die Benennung ist die Mutter der zehntausend Dinge.

Und ihre Gefängniswärterin.

Vor aller sichtbaren Macht – vor den Panzern, den Sanktionen, den Drohnen – operiert eine unsichtbare: die Macht zu definieren. Sie setzt die Kategorien, innerhalb derer gedacht werden darf. Wer innerhalb dieser Kategorien argumentiert, auch kritisch, bestätigt sie.

Krieg ist, wenn die eigenen Handelsrouten gestört werden. Frieden ist, wenn die eigenen Drohnen fliegen. Terrorismus ist, was die anderen tun. Sicherheit ist, was man selbst braucht.

Sanktion oder BelagerungIntervention oder InvasionKollateralschaden oder MassakerStabilität oder Friedhofsruhe.

Der materielle Kern: Definitionsmacht folgt der ökonomischen Macht. Wer die Ströme kontrolliert, kontrolliert die Begriffe. Der Dollar definiert, was Wert ist. Das Pentagon definiert, was Bedrohung ist. Die Rating-Agenturen definieren, was Kreditwürdigkeit ist. Reuters und AP definieren, was Nachricht ist. Die Zentralbanken definieren, was Inflation ist – und wer ihre Kosten trägt.

Diese Macht ist die wirksamste, weil sie nicht als Macht erscheint. Sie gibt sich als Beschreibung, während sie Vorschrift ist. Sie gibt sich als Analyse, während sie Interesse ist. Die Debatte findet statt, aber ihre Grenzen sind bereits gezogen, bevor das erste Wort fällt.

III. Die materielle Basis der moralischen Rede

Was bewegt sich tatsächlich, wenn von „Frieden“ gesprochen wird?

Güter bewegen sich. Öl aus dem Persischen Golf durch die Straße von Hormuz. Seltene Erden aus dem Kongo nach Shenzhen. Weizen aus der Ukraine über das Schwarze Meer. Container durch das Südchinesische Meer, den Suezkanal, die Straße von Malakka. Diese Bewegungen sind der eigentliche Inhalt dessen, was „Frieden“ genannt wird. Ihre Unterbrechung ist das, was „Krieg“ bedeutet – für jene, die definieren.

Kapital bewegt sich. Aus den Ländern des Südens in die Finanzzentren des Nordens. Als Schuldenrückzahlung, als Gewinnrepatriierung, als Kapitalflucht. Die Strukturanpassungsprogramme des IWF, die Handelsverträge der WTO, die Investitionsschutzabkommen – sie alle garantieren diese Bewegungsrichtung. Das internationale „Recht“ ist die Kodifizierung dieser Ströme, ihre Verrechtlichung, ihre Naturalisierung.

Gewalt bewegt sich. Aus den Zentren an die Peripherien. Als Drohnen über Pakistan, als Sanktionen gegen Kuba, als Stellvertreterkriege im Jemen. Die Gewalt bewegt sich dorthin, wo sie nicht zurückgeschlagen werden kann, wo sie keine Börsenkurse erschüttert, wo sie keine Fernsehbilder in den Wohnzimmern der Metropolen erzeugt.

Der materialistische Blick fragt nicht: Was wird gesagt? Er fragt: Was bewegt sich? Wohin fließt der Mehrwert? Wer trägt die Kosten? Wer erntet die Erträge?

IV. Das Symptom der Empörung

Die Scheinaufregung deutscher Medien über den Zynismus amerikanischer Politik ist kein Fehler und keine Naivität. Sie ist ein Symptom – und zwar ein notwendiges.

Notwendig, weil sie eine Funktion erfüllt: die Aufrechterhaltung einer Selbsterzählung, in der Europa auf der Seite des Guten steht, während es von den Früchten der hegemonialen Ordnung profitiert. Die Empörung ist der psychische Mechanismus, durch den Komplizenschaft als Kritik erscheint.

Symptomatisch, weil sie auf eine tiefere Störung verweist: die Unmöglichkeit, die eigene Position im Weltsystem ehrlich zu benennen. Deutschland ist nicht Opfer amerikanischer Machtpolitik – es ist ihr Nutznießer, ihr Juniorpartner, ihr europäischer Anker. Die Ramstein Air Base, der Datenaustausch der Geheimdienste, die gemeinsamen Interventionen – all das wird verdrängt im Moment der moralischen Entrüstung.

Auch hier wirkt die Definitionsmacht. Die deutschen Medien empören sich innerhalb der Kategorien, die sie nicht selbst gesetzt haben. Sie kritisieren den Stil amerikanischer Politik, nicht ihre Struktur. Sie beklagen den Bruch der Regeln, nicht die Frage, wer die Regeln gemacht hat. Die Empörung operiert im zugewiesenen Rahmen – und stabilisiert ihn dadurch.

Das Symptom verdeckt, was es enthüllt. Es zeigt an, wo der Widerspruch sitzt, und verbirgt ihn zugleich.

V. Das leere Zentrum europäischer Macht

Das Rad dreht sich um die leere Nabe. Das Gefäß wird geformt um die Leere. Die Leere ist das Brauchbare.

Europa – und Deutschland als sein ökonomisches Zentrum – pflegt eine eigentümliche Form der Macht: Macht durch Abwesenheit, durch Nicht-Benennung, durch Delegation. Die militärische Gewalt wurde an die USA ausgelagert, die schmutzige Arbeit an die Peripherie, die moralische Verantwortung an abstrakte Institutionen. Was bleibt, ist das leere Zentrum: Macht ohne Bekenntnis zur Macht.

Diese Leere ist funktional. Sie erlaubt Handel mit allen Seiten. Sie ermöglicht Waffenexporte ohne Kriegerimage. Sie gestattet Ausbeutung ohne Ausbeutergestus. Der deutsche Exportüberschuss – das materielle Fundament des Wohlstands – beruht auf einer globalen Ordnung, die deutsche Panzer in der Türkei ebenso voraussetzt wie deutsche Ingenieure in China und deutsche Banken in London.

Europas Definitionsmacht war stets eine geborgte. Es durfte mitdefinieren, solange es die amerikanischen Grundkategorien akzeptierte. „Multilateralismus“ hieß: gemeinsam definieren, was Amerika allein hätte definieren können. „Regelbasierte Ordnung“ hieß: Regeln, die wir mitgeschrieben haben, weil wir einverstanden waren. Die europäische Stimme war laut, aber sie sprach in einer Sprache, deren Grammatik anderswo festgelegt wurde.

Die europäischen Machtambitionen, die sich nun artikulieren – „strategische Autonomie“, „europäische Armee“, „Zeitenwende“ –, sind nicht die Überwindung dieser Leere, sondern ihr Sichtbarwerden. Was jahrzehntelang als Friedensprojekt firmierte, entpuppt sich als Machtaggregat im Wartestand. Die EU ist kein Gegenentwurf zur amerikanischen Hegemonie; sie ist der Versuch, nach deren Erosion die eigene hegemoniale Position zu sichern – und mit ihr: die eigene Definitionsmacht.

VI. Die Dialektik der Offenheit

Trump, und was er repräsentiert, ist nicht der Bruch mit amerikanischer Tradition – er ist deren Entblößung. Die Maske fällt, aber das Gesicht dahinter war immer da.

Was sich ändert, ist die Bereitschaft zur definitorischen Arbeit. Frühere Administrationen investierten erhebliche Ressourcen in die Aufrechterhaltung der Fiktion: dass Interessen Werte seien, dass Macht Recht sei, dass Partikularität Universalität sei. Diese Arbeit war aufwendig, aber sie zahlte sich aus in Legitimität, in freiwilliger Gefolgschaft, in der Ersparnis direkter Gewalt.

Die aktuelle Rhetorik spart sich diesen Aufwand. Sie nennt Deals Deals, Erpressung Erpressung, Interessen Interessen. Damit entfällt die definitorische Hülle, die das System stabilisierte.

Das Weiche überwindet das Harte. Das Unsichtbare überwindet das Sichtbare.

Die Ironie: Indem die USA ihre Macht unverhüllter ausüben, untergraben sie deren Grundlage. Hegemonie ist am stabilsten, wenn sie als Natur erscheint, nicht als Gewalt. Die trumpsche Rhetorik macht die Kontingenz sichtbar, die das System verbergen muss. Wenn offen gesagt wird, dass es um Grönlands Ressourcen geht und nicht um die Sicherheit der Grönländer, bricht die Legitimationserzählung zusammen.

Aber – und hier liegt die Gefahr – nur die amerikanische Erzählung bricht zusammen, nicht das Prinzip. Die europäische Reaktion besteht nicht darin, die Kontingenz aller hegemonialen Ordnung zu erkennen, sondern darin, eine neue, elegantere Legitimationserzählung zu entwerfen. Eine, die wieder funktioniert. Eine, die wieder verbirgt.

VII. Die Illusion des Widerstands

Hier liegt die Gefahr der europäischen Reaktion: Sie verwechselt die Kritik an der Form mit der Kritik an der Sache. Die Empörung über Trump ist kompatibel mit der Fortführung derselben Politik unter anderem Namen.

Wenn Europa „strategische Autonomie“ fordert, meint es nicht: Wir wollen aus der hegemonialen Logik aussteigen. Es meint: Wir wollen selbst hegemonial werden. Wenn Scholz die „Zeitenwende“ ausruft, meint er nicht: Wir wollen die Militarisierung der Weltpolitik beenden. Er meint: Wir wollen besser gerüstet sein für den nächsten Machtzyklus. Wenn von einer „europäischen Stimme“ die Rede ist, meint sie nicht: Wir wollen zuhören. Sie meint: Wir wollen gehört werden. Wir wollen mitdefinieren.

Der Unterschied zwischen amerikanischer und europäischer Machtpolitik ist kein substanzieller. Er ist ein atmosphärischer. Europa kleidet dieselben Interessen in andere Rhetorik – multilateral statt unilateral, regelbasiert statt interessenbasiert, humanitär statt offen imperial. Aber die Frage, wer zahlt und wer profitiert, beantwortet auch die europäische Ordnung eindeutig.

Der große Schnitzer schnitzt nie.

Die wirksamste Machtausübung ist die, die nicht als solche erscheint. Europas Vorteil gegenüber den USA bestand lange darin, eleganter zu schnitzen. Dieser Vorteil schwindet in dem Maße, in dem Europa gezwungen ist, seine Macht zu explizieren. Die Aufrüstung, die Grenzregime, die Abkommen mit Autokraten zur Migrationsabwehr – all das lässt sich immer schwerer in die Sprache der Werte übersetzen.

VIII. Frieden als Fluss, nicht als Ordnung

Ein materialistisch-taoistischer Begriff von Frieden müsste anders ansetzen als der hegemoniale.

Hegemonialer Frieden bedeutet: Stabilität der Extraktionsbedingungen. Berechenbarkeit der Kapitalströme. Absicherung des Status quo. Dieser Frieden ist kompatibel mit struktureller Gewalt, mit Hunger, mit Ausbeutung, mit ökologischer Zerstörung – solange diese Gewalt keine systemischen Störungen verursacht. Er ist kompatibel mit Krieg, solange der Krieg anderswo stattfindet.

Dieser Frieden wurde definiert von denen, die ihn brauchen. Er schließt ein, was ihnen nützt, und schließt aus, was sie bedroht. Die Störung einer Lieferkette ist nach dieser Definition ein Angriff auf den Frieden. Der Hunger, den dieselbe Lieferkette produziert, ist es nicht.

Ein anderer Friedensbegriff müsste vom Fließen ausgehen, nicht vom Festhalten. Nicht: Wer kontrolliert? Sondern: Was bewegt sich, und bewegt es sich frei? Nicht: Wer gewinnt? Sondern: Wer trägt die Lasten?

Das Laozi spricht vom ziran – dem „Von-selbst-so-Sein“, der Natürlichkeit. Eine Ordnung, die sich nur durch permanente Gewalt aufrechterhalten kann, ist nicht ziran. Sie widerspricht dem Fließen der Dinge. Die Hegemonie, die ständig intervenieren muss, die ständig sanktionieren, bombardieren, erpressen muss, zeigt durch ihre Aktivität ihre Unnatürlichkeit.

Das Tao schweigt. Es definiert nicht. Darin liegt seine Subversion: die Weigerung, im Spiel der Definitionen mitzuspielen. Nicht Gegendefinition, sondern Ent-Definition. Die Begriffe leer werden lassen, bis sichtbar wird, was sie verdecken.

IX. Bewegungsfreiheit

Eva von Redecker hat einen Freiheitsbegriff vorgeschlagen, der sich vom besitzindividualistischen löst: Freiheit nicht als Verfügungsgewalt über Dinge und Menschen, sondern als Bewegungsfreiheit – die Möglichkeit, sich zu bewegen, sich zu verändern, in Beziehung zu treten und Beziehungen zu lösen.

Materialistisch gelesen zeigt dieser Begriff sofort seine kritische Schärfe. Denn die gegenwärtige Ordnung verteilt Bewegungsfreiheit radikal ungleich. Das Kapital bewegt sich frei – über Grenzen, durch Steueroasen, in Sekundenbruchteilen um den Globus. Die Waren bewegen sich frei – in Containern, auf Frachtern, durch Freihandelszonen. Aber die Menschen? Deren Bewegung wird kontrolliert, kanalisiert, blockiert. Visa-Regime, Grenzanlagen, Abschiebezentren, das Mittelmeer als Massengrab – die Architektur der Immobilisierung.

Die hegemoniale Ordnung garantiert Bewegungsfreiheit für das Tote (Kapital, Waren) und verweigert sie dem Lebendigen (Menschen, Beziehungen, Möglichkeiten). Sie nennt das „Freiheit“ – und meint die Freiheit des Eigentums, sich zu verwerten. Sie nennt das „Sicherheit“ – und meint die Sicherung dieser Verwertung gegen jene, die sie stören könnten.

Hier berühren sich materialistischer und taoistischer Blick. Das Tao ist Bewegung. Alles fließt – nicht als Metapher, sondern als Grundverfassung des Wirklichen. Was nicht fließt, stirbt. Der Fluss, der gestaut wird, wird brackig. Der Körper, dessen Qi nicht zirkuliert, erkrankt. Die Gesellschaft, die Bewegung blockiert, verhärtet und zerbricht.

Das Steife und Starre ist Gefährte des Todes. Das Weiche und Biegsame ist Gefährte des Lebens.

Die Grenzen, die Mauern, die Lager – sie sind nicht nur moralisch verwerflich. Sie sind, taoistisch gesprochen, Verstöße gegen das Fließen selbst. Sie erzeugen Stauungen, die sich entladen werden. Die Gewalt, die in der Blockierung liegt, kehrt zurück als Gewalt der Entladung.

Von Redeckers Bewegungsfreiheit ist kein liberaler Begriff. Sie meint nicht die Freiheit des Einzelnen, ungehindert zu konsumieren und zu akkumulieren. Sie meint die Freiheit des Lebendigen, sich zu entfalten – und das heißt immer: in Beziehung, in Veränderung, im Werden. Diese Freiheit ist unvereinbar mit einer Ordnung, die das Tote über das Lebendige stellt, die Akkumulation über die Zirkulation, das Festhalten über das Loslassen.

Ein Frieden, der diesen Namen verdient, wäre nicht die Stabilität der Blockierung. Er wäre die Ermöglichung von Bewegung – für alle, nicht nur für Kapital und Waren. Er wäre ziran: das Von-selbst-so-Sein dessen, was fließen will.

X. Die Erschöpfung der Zentren

Die materialistische Analyse zeigt: Hegemonien erschöpfen sich. Sie erschöpfen die Peripherien, die sie ausbeuten. Sie erschöpfen die Ressourcen, von denen sie leben. Und schließlich erschöpfen sie sich selbst.

Die amerikanische Hegemonie zeigt Zeichen dieser Erschöpfung. Die Infrastruktur verfällt. Die Ungleichheit wächst. Die politische Kohäsion zerbricht. Was nach außen projiziert wird – Stärke, Kontrolle, Macht –, kompensiert, was innen fehlt. Der Zynismus der Trump-Rhetorik ist auch ein Eingeständnis: dass die alten Legitimationen nicht mehr tragen, dass die Fassade bröckelt, dass die Definitionsarbeit zu aufwendig geworden ist.

Europa wiederum hat nie die volle hegemoniale Rolle eingenommen. Sein Wohlstand war stets geliehen – geliehen von amerikanischer Sicherheitsgarantie, von kolonialen Erbschaften, von der günstigen Position in globalen Wertschöpfungsketten. Wenn diese Bedingungen sich ändern, steht Europa vor der Wahl: den hegemonialen Pfad selbst einschlagen oder einen anderen Weg suchen.

Das Weiche und Schwache ist Schüler des Lebens. Das Harte und Starke ist Schüler des Todes.

Die Verhärtung Europas – Aufrüstung, Abschottung, Projektion von Macht – mag kurzfristig Sicherheit versprechen. Langfristig folgt sie demselben Pfad der Erschöpfung. Ein anderer Weg wäre möglich: nicht die Übernahme hegemonialer Funktionen, sondern deren Aufgabe. Nicht Stärke durch Verhärtung, sondern Stärke durch Durchlässigkeit. Nicht der Kampf um Definitionsmacht, sondern die Befreiung von ihr.

XI. Das Unsichtbare denken

Die Scheinempörung der deutschen Medien ist das sichtbare Symptom unsichtbarer Strukturen. Sie zu kritisieren reicht nicht. Es gilt, das Unsichtbare sichtbar zu machen: die materiellen Ströme, die hinter den Worten fließen; die Interessen, die hinter den Werten sich verbergen; die Gewalt, die hinter dem Frieden lauert; die Definitionen, die vor aller Debatte die Debatte begrenzen.

Ein materialistisch-taoistischer Blick auf die Weltpolitik verweigert sich beiden Illusionen: der Illusion, es ginge um Werte, und der Illusion, man könne durch härtere Machtpolitik die Lage verbessern. Er sieht das Fließen und fragt, wohin es führt. Er sieht das Stocken und fragt, wer es verursacht. Er hört die Definitionen und fragt, wer sie gesetzt hat.

Die gegenwärtige Ordnung stockt. Sie verhärtet sich, weil sie sich erschöpft. Die richtige Reaktion darauf ist nicht, selbst zu verhärten. Es ist, das Fließen zu verstehen und sich entsprechend zu bewegen. Es ist, die Definitionen zu verweigern, die uns zugewiesen werden – nicht durch Gegendefinition, sondern durch Stille.

Wer das Fließen versteht, folgt dem Weg. Wer schweigt, wo andere definieren, ist frei.


Geschrieben als Denkanstoß, nicht als Abschluss. Die Synthese von materialistischer Analyse und taoistischer Haltung bleibt experimentell – ein Versuch, westliche Kritik und östliche Gelassenheit zusammenzudenken, ohne die Schärfe der einen oder die Tiefe der anderen zu opfern.