
Schweigendes Sprechen
„Denn die Tiere lehren uns etwas. Sie lehren uns, ohne Worte zu sprechen, die Welt durch ihre Augen zu sehen, das Leben zu lieben.“
— Thierry Hoquet
Die Behauptung, Tiere würden uns etwas lehren, klingt merkwürdig. Lehren setzt doch Absicht voraus, einen Plan, eine Methode. Der Lehrer weiß, was er vermitteln will. Beim Tier öffnet sich eine epistemologische Leerstelle, die kaum zu schließen ist. Zu behaupten, es „wisse nichts davon, dass es unterrichtet“, etabliert bereits eine Gewissheit über tierisches Bewusstsein, zu der wir keinen Zugang haben. Ebenso grundlos: die Annahme, es wisse sehr wohl, was es tut. Wir verfügen über keine Methode, kein Verfahren, keinen Ansatz, der uns Einsicht verschaffen könnte in dessen Bewusstsein oder Bewusstlosigkeit davon – eine fundamentale Bewusstseinsinaccessibilität, die jede kategorische Aussage zur Spekulation werden lässt. Es existiert einfach, atmet, bewegt sich, schläft, in einer Weise, die sich unserem Verstehen entzieht. Trotzdem sprechen wir von Belehrung, als ob zwischen uns und dem Geschöpf eine Art Transmission stattfände, eine Weitergabe ohne Sender.
Womöglich praktiziert das Tier etwas, das sich unserem begrifflichen Zugriff entzieht. Ziran – dieses Selbst-so-Sein, dieses Von-sich-aus-So. Die Katze putzt sich in der Sonne, weil sie sich putzt. Keine Überlegung dazwischen, keine Selbstinstruktion, kein mentaler Kommentar. Sie vollzieht, was sie vollzieht, ohne dass ein Bewusstsein zwischen Impuls und Ausführung vermitteln müsste. Das irritiert uns, die wir permanent reflektieren, planen, uns selbst beim Leben zusehen.
Ohne Worte zu sprechen – das stimmt. Das Schweigen des Tieres ist allerdings keine Leerstelle, eher eine andere Fülle. Verkörpertes Wissen, das sich nicht diskursiv fassen lässt. Der Vogel „weiß“ wie man fliegt, ohne dass dieses Wissen sich in Sätzen, Regeln, Konzepten artikulieren ließe. Seine Kompetenz existiert im Vollzug, untrennbar von der Bewegung selbst. Das zeigt womöglich etwas über die Grenzen unserer Wissensformen – dass es Arten des Könnens gibt, die im Moment ihrer Versprachlichung bereits etwas verlieren, die sich dem Diskursiven fundamental verweigern.
Die Welt durch ihre Augen sehen – was für eine merkwürdige Vorstellung. Genauer betrachtet: Jedes Lebewesen existiert in seiner eigenen Welt, die sich aus seinen spezifischen Wahrnehmungsmustern, Bedürfnissen, Zeithorizonten konstituiert. Ich bin in meiner Welt, die Katze in ihrer, der Baum in seiner. Eine Zecke nimmt genau drei Aspekte wahr: oben-unten, warm-kalt, Buttersäure ja oder nein. Ihre Welt besteht aus diesen drei Koordinaten, vollständig, in sich geschlossen. Sie kann Jahre warten, regungslos an einem Zweig, dann erscheint ein Warmblüter, sie erfüllt ihre Mission in Sekunden und stirbt alsbald. Diese radikale Differenz zeigt: Keine Armut der Wahrnehmung – eine andere Vollständigkeit, eine Welt, die für die Zecke komplett ist, obwohl sie für uns leer erscheinen mag.
Was zwischen uns liegt, ist ein Mit-Sein – wir teilen denselben Raum, dieselbe Zeit vielleicht, bewohnen ihn aber völlig verschieden. Die Amselperspektive lässt sich erahnen, bestenfalls – eine vage Ahnung davon, wie Dasein sich anfühlen könnte, wenn Flug zur Grundbewegung gehört, wenn Würmer als Nahrungsquelle erscheinen, wenn Territorium in Baumkronen definiert wird. Wobei selbst „dieselbe Zeit“ schon zweifelhaft wird: Jedes Geschöpf lebt in seinem eigenen Zeittakt, seiner subjektiven Temporalität. Die Katze döst in einem Rhythmus, der sich unserem fundamental entzieht, ihre Gegenwart ist eine andere als unsere. Die Zecke existiert in jahrelanger Stasis, dann explodiert ihr Leben in Sekunden – ein Existenzstakkato, zwei völlig inkommensurable Zeitordnungen, die denselben physikalischen Moment bevölkern.
Manche behaupten, die Grenze zwischen den Welten könne durchlässig werden – schamanische Traditionen kennen den „Seelenflug“, Nahtoderfahrende berichten vom Schweben über dem eigenen Körper, von Beobachtungen, die später verifiziert wurden: der Kardiologe mit seinen eigentümlichen Handbewegungen, Details aus Nebenräumen. Andere solcher Berichte entpuppten sich als Projektionen – die erinnerte Bettdecke lag in der Wäsche, die Katze war nie da gewesen.
Ambiguität kehrt zurück. Diese Erfahrungen mögen die temporäre Überwindung unserer Welträume demonstrieren, mögen auch lediglich überzeugende Fiktionen sein, die das Gehirn unter Extremstress generiert. Doch selbst wenn wir tatsächlich von oben schauen, schweben, uns selbst als Objekt betrachten – die Perspektive wechselt, das Subjekt bleibt menschlich. Die Existenzgerade der Amsel, ihr Aufgehen im Flug ohne reflexive Schleife, entzieht sich auch der außerkörperlichen Beobachtung.
Der Westen kennt inzwischen eine andere Antwort auf diese Unüberbrückbarkeit der Welträume: juristische Konstrukte. Flüsse erhalten Rechtspersönlichkeit, Wälder werden klagefähig, Landschaften bekommen Guardians. Neuseeland erkannte 2017 den Whanganui River als legale Person an, Ecuador schrieb Pachamama ins Grundgesetz, Kolumbien gewährte dem Atrato River Rechte auf Schutz, Erhaltung, Pflege. Die Māori formulierten es so: „Ko au te Awa, ko te Awa ko au“ – Ich bin der Fluss, der Fluss ist ich. Ein Satz, der keine Subjekt-Objekt-Spaltung kennt, der Identität zwischen Mensch und Landschaft behauptet, der ausspricht, was für die Anangu selbstverständlich bleibt: tjukurpa, das Gesetz, das Land und Menschen verwebt, das keine Trennung denkt, weil es keine Trennung gibt.
Das westliche Rechtssystem übersetzt diese Kosmologie in Paragrafen, installiert Guardians, definiert Klagerechte. Menschen sprechen für Flüsse vor Gericht, argumentieren im Namen von Bergen, vertreten Wälder gegen Bergbaukonzerne. Indigene Gemeinschaften kannten das Problem nie – sie mussten nie für die Natur sprechen, weil die Trennung zwischen Ich und Landschaft in ihren Welten schlicht nicht existierte. Der Westen erkennt seine epistemologische Sackgasse, konstruiert juristische Umwege – Repräsentation statt Identifikation, Vertretung statt Verschmelzung, Prozessrecht als Weltbildprothese. Die Katze vor mir braucht keinen Guardian, keinen Rechtsbeistand, keine Klage. Sie existiert einfach weiter, indifferent gegenüber juristischen Konstruktionen wie gegenüber philosophischen Spekulationen.
Vielleicht stellen wir die falschen Fragen. Manche behaupten, Tiere würden uns antworten, wenn wir endlich lernen würden, richtig zu fragen – höflich zu fragen, ohne bereits die Antwort in der Frage zu verstecken. Die Ratte im Labyrinth läuft vielleicht gar nicht für sich selbst, eher für den Wissenschaftler, dem sie die erwartete Antwort liefert, weil auch sie versucht herauszufinden, was hier eigentlich von ihr verlangt wird. Eine seltsame Kollaboration, bei der unklar bleibt, wer wen beobachtet – eine Kooperationsunklarheit, die das gesamte Versuchsdesign unterwandert.
Ob unsere jeweiligen Welten sich jemals wirklich berühren, ob diese Mit-Welt zur umfänglichen Welt werden kann, in der tiefes Verstehen stattfindet – das lässt sich kaum beantworten. Manche haben versucht, dieser Fremdheit näherzukommen, indem sie sich auf allen Vieren durch unbekanntes Terrain bewegten, blind, tastend. Eine Desorientierung als Methode, eine temporäre Aufgabe der aufrechten, überschauenden Position. Trotzdem bleibt die wirkliche Amselperspektive verschlossen, die Umwelt des Tieres wie eine Röhre, die sich um seinen Lebensweg legt, an beiden Enden geschlossen – diese Weltrährenlogik beschreibt die Perspektivimpermeabilität, die Undurchdringlichkeit für andere Geschöpfe, die in ihren eigenen Röhren wandern. Diese Unerreichbarkeit mag das eigentlich Lehrreiche sein – wir lernen weniger, wie Tiere die Welt wahrnehmen, als vielmehr unsere Unfähigkeit dazu zu akzeptieren. Eine negative Epistemologie: besser fragen lernen, statt Antworten anzuhäufen, Unwissen kultivieren statt Gewissheiten sammeln.
Das Leben lieben – oder einfach leben, ohne diese Unterscheidung zu brauchen? Das Tier vollzieht sein Dasein: keine permanente Selbstversicherung, keine Prüfung, keine Optimierung, keine Legitimation. Es existiert, solange es existiert. Diese Unmittelbarkeit – weniger paradiesischer Urzustand als schlichte Tatsache – zeigt womöglich die Möglichkeit von Sein ohne permanente Rechtfertigungszwänge, ohne das erschöpfte Selbst, das sich ständig beweisen muss.
Geschehenlassen, heißt das manchmal. Wu Wei – kein Nicht-Handeln, eher Handeln ohne Verkrampfung, ohne den Zwang zur Kontrolle. Das Tier plant nicht, optimiert nicht, akkumuliert nicht. Es atmet, jagt, schläft, stirbt, verschwindet oft spurlos. Keine Archive, keine Nachlässe, keine Retrospektiven. Eine Ästhetik der Vergänglichkeit, die uns verstört durch ihre radikale Abweichung von dem, was unsere Kultur als Beständigkeitsversprechen bereithält, als Akkumulationszwang zelebriert.
Ich bin allerdings schon wieder dabei zu interpretieren, das Tier für meine Selbstreflexion zu instrumentalisieren, meine Welt auf seine zu projizieren, als ob seine Bedürfnisse den meinen glichen, als ob sein Dasein sich nach denselben Kategorien erschließen ließe. Das Tier verharrt in seiner Gleichgültigkeit. Es frisst weiter, schläft weiter. Diese Indifferenz – womöglich das Ehrlichste an der ganzen Geschichte. Das Tier als Grenze unserer Verstehbarkeitsansprüche, als Bereich, der unseren Projektionen widersteht, als Alterität, die in ihrer Fremdheit besteht. Diese Projektionsresistenz – keine aktive Abwehr, vielmehr passive Immunität gegen menschliche Bedeutungsproduktion.
Echtes Mit-Sein würde bedeuten: zuhören, ohne sofort zu deuten, beobachten, welche Bedürfnisse sich artikulieren, ohne sie in menschliche Kategorien zu pressen. Die Welt der Tiere, der Bäume erkennen als eigenständige Welten, die nach ihren eigenen Logiken funktionieren. Manchmal geschieht etwas Merkwürdiges – wenn die Projektionen für einen Moment nachlassen, wenn das interpretierende Bewusstsein pausiert, öffnet sich eine andere Erfahrungsqualität. Keine Erkenntnis über das Tier, eher ein temporäres Durchlässigwerden der Grenzen zwischen den Welten, ein Zustand, in dem das Mit-Sein sich verdichtet zu etwas, das man vielleicht Einssein nennen könnte, obwohl der Begriff schon wieder zu groß ist, zu pathetisch für diese flüchtigen Momente.
Eine Erfahrung des Verweilens in multiplen Welten gleichzeitig, wo die eigene Welt sich weitet, poröser wird, durchlässiger für Fremdheit – kein dramatisches Erwachen, vielmehr ein kurzes Aufgehen in der Pluralität des Lebendigen, das genauso schnell wieder vergeht, wie es kam. Manche nennen solche Momente „glimpses“, Einblicke, die sich nicht festhalten lassen, die kommen beim Atmen, das plötzlich geschieht ohne jemanden, der atmet, beim Gehen ohne Grenze zwischen Gehendem und Weg. Kleinkinder leben dort permanent, bevor sie Sprache erwerben, bevor sie sich selbst als separates Subjekt begreifen. Tiere bewohnen diesen Zustand ihr ganzes Leben lang – die Katze war nie herausgefallen aus der Unmittelbarkeit, die Menschen mühsam wiederzuerlangen versuchen.
In manchen Traditionen heißt es, alle fühlenden Wesen seien durch unzählige Wiedergeburten miteinander verbunden – die Katze vor mir könnte in einem früheren Leben meine Mutter gewesen sein, ich könnte als Tier wiedergeboren werden. Diese Vorstellung löst die Grenze zwischen Mensch und Tier auf in einer anderen Richtung: Was uns trennt, ist temporär, was uns verbindet, ist das gemeinsame Gefangensein im Leiden, der gemeinsame Wunsch nach Glück, nach Vermeidung von Schmerz. Ob man daran glaubt oder nicht – die Geste bleibt interessant: Mitgefühl ausstrahlen „wie eine Sonne in alle Himmelsrichtungen, ohne Unterschied, egal wen diese Strahlen erhellen.“
Die Katze verkörpert ein Koan, obwohl sie darin abwesend verharrt – im berühmten Mu-Koan erscheint ein Hund, keine Katze. „Hat ein Hund Buddha-Natur?“ fragte ein Mönch. „Mu“, antwortete Meister Zhaozhou – nichts, nein. Die Frage ist theologisch absurd, weil alle fühlenden Wesen Buddha-Natur besitzen, der Hund also fraglos dazugehört. Das „Mu“ durchschneidet die konzeptuelle Logik, verweigert die erwartete Bestätigung, zwingt den Fragenden in eine Sackgasse, aus der es intellektuell keinen Ausweg gibt. Man muss das Koan werden, jahrelang mit sich herumtragen, bis die Frage zusammenbricht unter der Last ihrer eigenen Unlösbarkeit.
Die Katze existiert jenseits dieser Frage nach Buddha-Natur, nach Bewusstsein, nach Erleuchtung – zumindest erscheint es so, zumindest projizieren wir das auf sie. Ihre Existenz ist die Antwort, die keine Frage braucht – oder braucht sie doch Fragen, nur andere als unsere? Pure Manifestation ohne reflexive Schleife, soweit wir das beurteilen können. Wenn Subjekt und Objekt zusammenfallen sollen, wenn Handelnder und Handlung identisch werden, wenn keine Trennung mehr besteht zwischen Beobachter und Beobachtetem, dann praktiziert die Katze das permanent, ohne jemals darüber nachzudenken – aber ob sie nachdenkt oder nicht, ob ihr Bewusstsein strukturiert ist wie unseres oder völlig anders, ob überhaupt etwas ist, das „nachdenken“ heißen könnte in ihrer Welt, bleibt Spekulation. Sie ist das, was sie tut – vermuten wir. Keine Lücke dazwischen – nehmen wir an. Eine Existenzgerade vom Sein zum Vollzug, die wir ihr zuschreiben, weil wir selbst keine mehr haben.
Menschen dagegen leben im permanenten Selbstkommentarismus, in der Dauerrückkopplung zwischen Erleben und Erleben des Erlebens. Selbst beim Meditieren beobachten sie sich dabei, wie sie aufhören zu beobachten – eine unendliche Regression, aus der es scheinbar keinen Ausweg gibt. Die Zen-Erfahrung – Kensho, Satori – tritt dann ein, wenn diese Schleife zusammenbricht, wenn das reflektierende Bewusstsein für einen Moment aussetzt, wenn nichts mehr zwischen dem Erlebenden und dem Erlebten steht. Ein Aufmerksamkeitskollaps, bei dem die gewohnte Subjekt-Objekt-Spaltung sich auflöst. Das Problem: Sobald man zurückkehrt in die normale Bewusstseinslage, sobald man anfängt zu denken „Das war es“, ist man bereits wieder im Modus der Distanzierung, der Objektivierung, der Selbstvergewisserung. Die Erfahrung wird zur Erinnerung, zur Geschichte, die man sich über sich selbst erzählt – dieser Unmittelbarkeitsverfall transformiert sie zu einem weiteren Besitz des Ego, das sich jetzt als „erleuchtet“ definieren kann.
Rinzai warnte: „Wenn du den Buddha triffst, töte den Buddha.“ Sobald etwas ist, das man hat, das man erreicht hat, das man anderen zeigen kann, ist es bereits etwas anderes geworden – eine weitere Form der Selbstoptimierung, eine spirituelle Akkumulation, ein Upgrade des Ich. Wie merkt man also, ob man dort angekommen ist? Vielleicht gar nicht. Oder anders: Sobald man es bemerkt, verschwindet es bereits in der Bemerkung. Die Frage selbst erzeugt das Problem, das sie zu lösen vorgibt – ein Merkbarkeitsparadox, bei dem jeder Versuch der Vergewisserung genau jene Distanz etabliert, die überwunden werden sollte. Wer nach Merkbarkeit fragt, sucht nach Gewissheit, nach Besitz, nach etwas, das man vorweisen kann. Zen antwortet darauf mit Geschichten von Meistern, die Schüler schlagen, wenn diese von Erleuchtungserfahrungen berichten, mit Anweisungen wie „Wenn du danach suchst, entfernst du dich davon“, mit der Mahnung: „Vor dem Erwachen: Holz hacken, Wasser tragen. Nach dem Erwachen: Holz hacken, Wasser tragen.“
Die Katze hackt kein Holz, trägt kein Wasser. Sie döst einfach weiter, lebt in unmittelbarer Präsenz ohne Bewusstheit dieser Präsenz – eine Buddha-Natur, die sich ihrer selbst nicht bewusst ist. Tiere besitzen zwar diese Natur, können aber den Dharma weder verstehen noch praktizieren, bleiben gefangen im Tierreich, einem der sechs Bereiche. Das wirft die ketzerische Frage auf: Zählt es, wenn die Katze nie die Alternative kannte, wenn sie nie im Gefängnis der Selbstreflexion saß? Buddhistische Texte würden das verneinen – der Unmittelbarkeit wird erst dann Wert beigemessen, wenn man die Distanz überwunden hat, wenn man bewusst zur Einfachheit zurückkehrt, statt dort aus Unwissenheit zu verharren.
Die einzige respektvolle Haltung wäre womöglich Schweigen. Das Tier betrachten ohne zu deuten, ohne Lektionen zu extrahieren. Freigeben statt vereinnahmen – die Existenz des Anderen stehen lassen in ihrer Fremdheit, ohne sie sofort in Bedeutungen zu verwandeln. Dann schreibe ich doch wieder darüber, mache Meditationen, produziere Bedeutungen. Ein Widerspruch, der sich nicht auflösen lässt, den man vielleicht aushalten muss.
Die Katze döst in der Sonne. Pu, der unbehauene Block (nicht der Bär, obwohl die Namensähnlichkeit verblüfft) – das Nicht-Kultivierte, das Rohe, das sich allen Überformungsversuchen entzieht, das in seiner Ursprünglichkeit verharrt. Sie döst, weil sie döst, in ihrer Welt, die ich höchstens streifen kann mit meiner Anwesenheit. Und vielleicht ist genau das die Belehrung, die keine sein will: dass Dasein stattfindet in vielfältigen, einander fremden Welten. Dass Existenz keinen Kommentar braucht, keine Interpretation, keine philosophische Durchdringung. Dass Sein ohne Bedeutungsproduktion möglich bleibt, einfach geschieht.
Die Katze döst weiter, in ihrer Welt. Ich schaue zu, in meiner.
